Vom O-Ton bis zum fertigen Beitrag – aber bitte nicht umgekehrt!

Microphones on the podium

Radio hören ist beliebt – auch und gerade bei den Jüngeren. Das ist nicht neu, aber so schön, dass man es gar nicht oft genug erwähnen kann. Finde ich als einer, der seit über 20 Jahren leidenschaftlich mit dem Medium beruflich verbunden ist. Die Gründe, warum das so ist, können ganz individuell und unterschiedlich sein. Der eine liebt die aktuellen Charts und Nachrichten, die „lustigen“ Moderatoren des Formatradios. Andere stehen eher auf Hinter­grundberichte, Hörspiele, Reiseberichte oder Dokumentationen zu wissenschaftlichen Themen. Das Radio bietet grundsätzlich Vieles, auch wenn sich die Vielfalt in den letzten Jahren ein wenig ausgedünnt hat.

Na klar, ich höre auch gerne Musik und bin als Dinosaurier unter den Hörern begeistert, wenn Songs aus meiner Jugendzeit gespielt werden. Aber ich höre vor allem Radio, weil ich gerne Nachrichten höre. Weil mich Wirtschafts- und Verbrauchersendungen von WDR 2, dem Inforadio Berlin oder Bayern 5 aktuell begeistern (mehr Mut wünschte ich mir hier bei den Privaten). Weil im Radio Informationen ohne bildliche „Effekthascherei“ auf den Punkt formuliert werden.

Die guten „Radiomacher“ schaffen es, Informationen über Sprache in kürzester Zeit so zu formulieren, dass jeder sie versteht. Im Idealfall Situationen zu schaffen und Bilder zu er­zeugen, die ich kenne, die mich ansprechen, die ich durchlebt habe und/oder die mir einen informativen Mehrwert vermitteln, der mich gedanklich später noch beschäftigt und mein Handeln beeinflusst. Sie präsentieren in Berichten O-Töne, die anders sind als die im TV. Sie sind oft, finde ich, prägnanter, lebendiger, nachdrücklicher.

Die Sprache im Radio lebt von ihrer Vielfalt. Das sollten meiner Meinung nach alle beherzigen. Auch die, die als PR-Hörfunker unterwegs sind und den Sendern redaktionelle Bausteine zuliefern. Wer einen Text abliest, und das gilt vor allem für vorformulierte O-Töne, der redet nicht!

O-Töne sollten authentisch klingen. Die Sätze sollten kurz sein. Wortwiederholungen sind sogar erlaubt (man muss nicht krampfhaft nach Synonymen suchen). Das Verhältnis von O-Ton zu Moderationstext sollte bei 45 zu 55% liegen. O-Töne sollten die persönliche Note des O-Ton-Gebers wiedergeben. In sie gehören Informa­tionen, die den Bericht stützen, die eine Meinung auf den Punkt bringen, die einprägsam etwas zusammenfassen, die Vergleiche ziehen, die im Kopf bleiben.

Das sage nicht ich, das sagen alle Radioexperten. Und ich finde, daran müss(t)en sich gute PR-Hörfunker halten! Deshalb steht bei uns am Anfang immer das Face-to-Face-Interview, der „echte“ O-Ton mit offenen Fragen. Und nicht der vorformulierte PR-Text mit ausge­arbeiteten Zitaten, die authentisch in nahezu allen Fällen kaum vorzulesen, äh, zu sprechen sind. Und den Bericht aus meiner Sicht so entstellen, dass er nicht mehr hörenswert ist. Da kann das Thema noch so gut sein. Am Anfang steht immer der O-Ton!

Autor: Michael Scheidel; Foto: Fotolia artisticco